Ein Essay über den oft unerwarteten Nutzen alten Pflanzenbestands in wilden Gärten
Man sagt, es sei der Traum eines jeden Gartengestalters: Einmal eine freie Fläche als Garten neu anlegen und begrünen zu dürfen – ohne Einschränkungen durch Wege und Mauern, Bäume, Hecken und vorhandenes, erhaltenswertes Grün. Ein Garten als ein weißes, unbeschriebenes Blatt, das man ganz nach seinen Vorstellungen formen kann. Zugegeben ein reizvoller Gedanke. Aber gerade ältere Gärten sind geprägt durch längst etablierte Bäume, Sträucher, Wege und Stauden. Was tun damit?
Drum herum planen? Alte, gegebene Strukturen akzeptieren und belassen? Auch die einst so geschätzten, inzwischen ungeliebten, weil riesigen Lebensbäume? Oder die mit den Jahren im unteren Bereich stark verkahlenden Sichtschutzhecken aus Fichten? Was beispielsweise anfangen mit geraden Wegen, die früher meist so angelegt wurden, dass sie möglichst dicht an der Hauswand entlang liefen?
Ganz klar, Gärten sind Moden unterworfen. Geschmäcker verändern sich. Wo früher der Nutzenaspekt und der gepflegte Vorgarten mit scharfer Rasenkante im Fokus standen, ist heute eher das naturalistische Gärtnern en vogue. Staudenbeete, Gräser, Präriepflanzen und geschwungene naturnahe Wege kennzeichnen für viele seit Jahren einen zeitgemäß angelegten Garten. Bekannte Gartengestalter wie Piet Oudolf, Cassian Schmidt und Noel Kingsbury stehen für diese Art des Gärtnerns. Die eindrucksvollen Pflanzenbilder, die sie durch ihre Gestaltungen und Bücher vermitteln, gelten als stilbildend. Viele Gärtner und Gartenbesitzer haben sich diese naturnahen Landschaftsdesigns zum Vorbild genommen. Also, kein Platz für alte Koniferen?
Im Gegenteil. Gerade in einem wilden Miteinander aus altem Bestand und neuen Ideen liegt eine große Chance, oftmals unerwartete Raffinesse in den Garten zu zaubern.
Der Planungsprozess hierfür ist leider deutlich komplexer. Neben den determinierenden lokalen Gegebenheiten – den klimatischen Aspekten, der Bodenbeschaffenheit, der Sonneneinstrahlung und der optimalen Integration der Umgebung – muss zudem auch dem Vorhandenen Rechnung getragen werden. Es gilt zu entscheiden, was bleiben darf und was neu gestaltet werden soll. Diese Überlegungen umfassen baulich-strukturierende Elemente des Gartens ebenso wie vorhandene Pflanzen. Pflanzen-Kleinodien, die bleiben sollen, wollen definiert sein. Müssen sie umziehen oder stimmt der Platz? Das eine oder andere echte Schmuckstück – etwa ein altehrwürdiger, herrlich knorriger Birnenbaum -, möchte umplant werden, ohne umziehen zu müssen. Demgegenüber entpuppen sich gänzlich misslungene Bereiche im Garten zumeist als Glücksfall. Sie sind schnell und ohne Gewissensbisse in weiße, neu gestaltbare Flecken verwandelt.
Was beispielsweise tun mit der seit Jahren kräftig gewachsenen Korkenzieherhasel Corylus avellana ‚Contorta‘, die just in dem Bereich, wo ein symmetrischer Kreuzgarten angelegt werden soll, mittig in einem der geplanten Beete zu stehen kommt? Zunächst wurde sie in die neue Planung noch unschlüssig und eher widerwillig integriert. Wenn es gar nicht geht, hätte man sie ja immer noch wegnehmen können. Inzwischen ist eben jene Korkenzieherhasel einer der visuellen Leitpunkte in diesem Gartenabschnitt. Mit ihrem rundlichen Habitus strahlt sie auf die angrenzenden Grasbeete ab, die ihre Form mit anderer Blattstruktur zu imitieren scheinen.
Ein glückliches Zusammentreffen, zugegeben. Anderes gelingt nicht so leicht. Schwerer ist es beispielsweise, einen Fichtenhecken-Sichtschutz zum Nachbargrundstück – inzwischen auf gute 20 Meter Höhe aufgeschossen – in eine moderne Gartengestaltung zu integrieren. Der dunkle Hintergrund „dominiert“ auch das farbenkräftigste Staudenbeet. Oder sollte man sagen: Er schafft erst den richtigen Kontrast dafür?
In England ist „We need more verticals!“ eine viel zitierte Gartenweisheit. Alte Bäume zeichnen Vertikale in einen Garten, wie es ein junger Pflanzenbestand zunächst nur schwer kann. „Vertikale Pflanzenstrukturen verleihen jeder Gartensituation auf besondere Weise die nötige Eleganz und Klarheit.“, so der deutsche Gartendesigner Peter Janke (Design mit Pflanzen. Moderne Architektur im Garten). Es braucht nur ein wenig Mut, eine solche markante Klarheit anzunehmen und zu integrieren. Manchmal ist es einfach notwendig, gängige Sehgewohnheiten zu ignorieren, um sich Neuem, ja auch Unbequemen zu öffnen.
Ein anderer Klassiker in eingewachsenen Gärten sind die Gemeinen Wacholder Juniperus communis. Heutzutage eine nicht gerade beliebte Gartenpflanze. Wie oft werden sie als Friedhofsbäume abgetan und keines näheren Blickes mehr gewürdigt. Übersehen wird dabei ihre würde- und kraftvoll aufragende Wuchsform, die auch hierzulande ein wenig toskanisches Flair hervorzaubert. Und das bei deutlich besserer Winterhärte als manch mediterrane Konifere zu bieten hat.
Manchmal entstehen so durch zunächst fast unverzeihlich erscheinende Kompromisse gerade die Bereiche im Garten, die Spannung und Fantasie in die grüne Welt tragen. Brüche im Grün, die eine urwüchsige Kraft, eine unerwartete Wildheit und eine ganz eigene Harmonie besitzen. Raffinierter als man sie manchmal auf einem weißen Blatt planen könnte.